„As tears go by“ – Von Marianne Faithfull zu Sacher-Masochs „Venus in Furs“

Marianne Faithful

„The morning sun touched lightly on
The eyes of Lucy Jordan
In a white suburban bedroom
In a white suburban town

At the age of 37
She realised she’d never ride
Through Paris in a sports car
With the warm wind in her hair“

1979 singt auf dem Album „Broken English“ eine junge Frau mit fragiler Stimme über zerbrochene Träume und vielleicht auch Abgründe im Leben einer 37-Jährigen. Man spürt, dass die Tochter eines englischen Offiziers und einer österreichischen Adeligen, gerade mal 33 Jahre alt, selbst bereits Abgründe erlebt hat.

Es waren die Abgründe der Drogen und des Rock’n’Roll . Marianne Faithfull erlebte eine kurze und sehr steile Karriere, eine glamouröse Beziehung mit einem der damals exzentrischsten Rock-Stars, Drogenexzesse, Fehlgeburt und Suizidversuch inklusive. 1)

Bekannt wurde sie durch den Song As Tears Go By aus der Feder von Mick Jagger und Keith Richards, den sie mit der unschuldigen Stimme einer Klosterschülerin vortrug. Doch während ihrer Beziehung mit Jagger nahm die Bedeutung von Drogen in ihrem Leben rasch zu. Sie schrieb mit den beiden Rock-Stars den Hit „Sister Morphine“, der 1971 in einer Variante ohne ihren Gesang auf dem Album „Sticky Fingers“ (mit dem legendären Reißverschluß auf dem Cover!) veröffentlicht wurde. Im Februar 1967 wurde sie im Zuge einer Drogenrazzia auf dem Landhaus von Keith Richards mit nichts als einer Pelzdecke bekleidet von der Polizei verhaftet – ein Skandal ersten Ranges und beinahe eine Referenz auf Sacher-Masochs „Venus im Pelz“ – die jedoch musikalisch von Lou Reed und Velvet Underground bearbeitet wurde.

Nach zwei Jahren auf der Straße fasste sie 1979 mit „Broken English“ und dem Hit „The Ballad of Lucy Jordan“ wieder Fuß, doch es sollte mehr als 10 Jahre dauern, bis Marianne Faithfull ihre Heroinabhängigkeit überwinden und eine zweite Karriere starten konnte, die sie erst 2021 aufgrund von Lungenschäden beendete. Sie starb letzte Woche, am 30. Jänner 2025.


Das Verhältnis von Marianne Faithfull zu ihrer Mutter, Eva („Baroness Erisso“ von) Sacher-Masoch (1912-1991), wird als schwierig beschrieben. „At the age of thirtyseven“ war die Mutter gerade 3 Jahre mit dem englischen Offizier Robert Glynn-Faithful verheiratet und Marianne ebenso alt. Eine Ehe, begründet in den Wiener Nachkriegstagen der „Vier im Jeep“, die nur sechs Jahre später wieder zerbrechen sollte.

Eva & Alexander Sacher-Masoch

Auch ihre Mutter hatte in Abgründe geblickt. Geboren wurde sie in Budpest im Jahre 1912 – in der noch intakten Welt des Habsburger Reiches und in eine Familie, die beinahe prototypisch im gesamten Raum der habsburgischen Kronländer verankert war – von Graz über Lemberg und Prag bis ins heute rumänische Karansebes im damaligen Banat. Im Berlin der 20er-Jahre hatte sie als blutjunge Tänzerin in der Compagnie Max Reinhardts gearbeitet und für Produktionen von Bert Brecht und Kurt Weill getanzt – eine politisch linke Positionierung, die nach der Matchergreifung der Nazis rasch gefährlich wurde.2) Ihre Rückkehr nach Wien sollte nur kurzfristige Sicherheit bieten.

An dieser Stelle ist es angebracht, erstmals die Brille des Ahnenforschers aufzusetzen. Die online verfügbare Quellenlage ist für den Raum Galizien, aber auch für Budapest und das Banat nicht ganz vergleichbar mit Österreich, Böhmen oder Mähren. Das Erforschen der Familie anhand einer durchgehenden Kette von Tauf- und Hochzeits-Matriken gestaltet sich hier zum Teil etwas schwieriger.

Mariannes Mutter Eva ist laut Wikipedia 1912 in Budapest geboren, bislang konnte ich allerdings noch keine Dokumente über sie finden. Die Geburt ihres Bruders, Alexander Sacher-Masoch, ist dagegen mit Datum vom 18.11.1901 in den Matriken von Wittkowitz (Vítkovice), einem Stadtteil von Ostrava zu finden. In seinem Nachlass ist zudem ein Geburts- & Taufschein aus dem Jahre 1941 überliefert.

Pfarre Vitkovice, Taufbuch 4, p. 139

Die Rückkehr nach Wien hatte alle Mitglieder der Familie mit Abgründen unterschiedlicher Art konfrontiert. Alexander wurde, als prononcierter Gegner des NS-Regimes und persönlicher Feind von Ernst Kaltenbrunner aus Grazer Tagen, als Hochverräter gesucht. Er emigrierte 1938 nach Belgrad, 1940 holte ihn auch dort die Weltpolitik in Form deutscher Bombardierungen ein und er wurde für 3 Jahre auf der unter italienischer Kontrolle liegenden Insel Korcula interniert. Dort schloss er sich der 1. dalmatinischen Partisanenbrigade an. In letzter Minute konnte er mit seiner künftigen Frau Milica dem deutschen Angriff auf einem Boot nach Bari entkommen. 3)

Alexander wurde in der Nachkriegszeit zu einem nicht unbekannten aber auch nicht berühmten Verfasser von Unterhaltungs-Literatur und 1947 zum Mitbegründer des wiedererstandenen österreichischen PEN Clubs sowie dessen erster Generalsekretär. Er verstand sich zu einem gewissen Grad als Epigone seines deutlich prominenteren Großonkels – auf den wir noch zurückkommen werden.

Arthur von Sacher-Masoch

Über das Schicksal von Eva und ihre Mutter ist weniger dokumentiert. Die Verfolgung der Familie Sacher-Masoch durch die Nationalsozialisten war nicht nur in ihrer politisch eindeutig linken Verortung begründet. Evas und Alexanders Vater, Artur Wolfgang, Ritter von Sacher-Masoch, war ein k.u.k. Offizier aus Graz, der im Laufe seiner militärischen Karriere an verschiedensten Dienstorten stationiert war und 1901 im damals noch zu Ungarn gehörigen Temesvar Flora Ziprisz, die Tochter eines jüdischen Arztes aus der Kleinstadt Karansebes, geheiratet hatte. Eva und Alexander wurden daher gemäß der Rassenlogik der Nazis als Halbjuden betrachtet. Ihre Mutter Flora genoss allerdings bedingten Schutz durch die adelige und arische Abstammung ihres Mannes sowie seine Auszeichnung als Kriegsheld. Marianne schildert aus den Erinnerungen ihrer Mutter, dass Artur persönlich beim Wiener Gestapo-Chef die Befreiung ihrer Großmutter Flora vom Davidstern durchsetzte. 4)

Taufbuch der Israelischen Kultusgemeinde Karansebes (1881) – p.30

Ein Dokument zur Hochzeit des Paares konnte ich noch nicht finden, sie ist aber im Taufbuch-Eintrag des Sohnes Alexander dokumentiert.

Auch Artur von Sacher-Masoch entkam dem Abgrund nicht. Das britische Genealogie-Magazin „Who do you think you are?“ berichtet in einer Story über Marianne Faithfull mit Bezug auf deren Erinnerungen, dass sich die Familie in Wien dem Widerstand zuwandte und ihr Großvater Artur von den Nazis verhört und gefoltert wurde. Eva und Flora überlebten den Krieg in Wien und wurden Opfer von Vergewaltigung durch die einrückende Rote Armee.5) In den Nachkriegstagen in Wien sollte Eva schließlich den britischen Major Glynn-Faithfull kennen und lieben lernen, den sie im Jahr 1946 heiratete.

Artur Wolfgang von Sacher-Masoch, wurde 1875 als Sohn des Grazer Rechtsanwaltes Karl von Sacher-Masoch geboren (zu dieser Zeit noch „Advokaturs-Candidat“). Die Familie lebte in der Goethestraße in im Bezirk St. Leonhard. Eine militärische Erziehung war wohl standesgemäß und so besuchte Artur die Infanterie-Cadettenschule in Graz Liebenau.

Das Grazer Tagblatt verzeichnet am 31.08.1896 die Ernennung zum Cadet-Offiziers-Stellvertretern und listet Arthur, Ritter v. Sacher-Masoch nur ein Jahr später am 31.10.1897 in einer langen Reihe von Cadet-Offiziers-Stellvertretern, die im Zuge einer November-Beförderung zu Lieutenants promoviert wurden.

Ernennung zum Cadet-Officiers-Stellvertreter (1896)

Wie uns der Taufbuch-Eintrag seines Sohnes Alexander verrät, arbeitete er im Jahr 1901 als „Stations-Vorstand der Werksbahn in Witkowitz“, 6) doch bald darauf finden wir Artur auch erstmals im k.+k. Militär-Schematismus als Lieutenant des 60. Ungarischen Infanterie-Regiments. Erstmals dekoriert mit der bronzenen Jubiläums-Medaille (1904) diente er ab 1908 an seiner Ausbildungs-Stätte in der Infanterie-Kadettenschule Liebenau. Ab 1909 avancierte er zum Ober-Leutnant.und erhielt das Militär-Jubiläumskreuz – im Jahr 1914 erfolgte schließlich sein ultimativer Karrieresprung – er wurde dem Generalstab der 68. Infanterie-Brigade in Fehertemplom zu geteilt.

Nach seiner militärischen Karriere begann er als freier Schriftsteller unter dem Pseudonym Michael Zorn zu arbeiten. Im Jahr 1938 dürfte seine Haltung dem Regime noch akzeptabel erschienen sein. Vielleicht war aber auch sein Werk „Zwischen Strom und Steppe“ (1936), gefüllt mit Mord und Totschlag, einem ungarischen Landstreicher, Pußta und Stromschnellen sowie einer Zigeunerin mit Hexenkünsten, ein Sujet, an dem die NS-Film-Maschinerie nicht vorbei konnte. Es wurde 1938/1939 mit Attila Hörbiger in der Hauptrolle verfilmt.

Carl von Sacher-Masoch

Mit Arthurs Vater Karl machen wir einen weiteren Schritt zurück in der Geschichte der Familie und es treten damit die Wurzeln der Familie im damals habsburgischen Galizien, genauer in Lemberg, zutage.

Karl und seine älteren Brüder Leopold und Johann wurden alle in römisch-katholischen Kirchen der Erzeparchie Lemberg getauft.

Die Bevölkerung Galiziens war im 18., 19. und bis ins 20. Jahrhundert ein sehr buntes Gemisch an Sprachen, Volksgruppen und Religionen.

Polen, Ukrainer & Ruthenen, Juden, Deutsche Siedler – und das nicht notwendigerweise linear auf Religionen aufgeteilt, auch ukrainisch-sprachige römisch-katholische Gläubige sowie griechisch-katholische Polen waren zu finden.8)

Religion1846
Römisch-katholisch2.205.237 (46,58 %)
Griechisch-katholisch2.183.112 (46,11 %)
Evangelisch A. B. 24.552 (0,51 %)
Israelitisch 317.225 (6,70 %)
Gesamt4.734.427 (100,00 %)
Lemberg – Taufbuch St. Andreas – Leopold Sacher-Masoch (1836)
Lemberg – Taufbuch Basilika Mariä Himmelfahrt
Karl Sacher-Masoch (1845)

Leopold Franz Johann von Sacher-Masoch

Karls Bruder, und damit Urgroß-Onkel von Marianne Faithfull, wurde als Schriftsteller bereits zu Lebzeiten berühmt. Bekanntestes und stilgebendes Werk ist der Roman Venus im Pelz (1870), musikalisch aufgegriffen von Lou Reed als „Venus in Furs“.

Er wäre wohl für sein schriftstellerisches Werk, in dem er triebhaftes Unterwerfungsverhalten und eine Obsession, sich in der Liebe demütigen und quälen zu lassen, zum Antrieb seiner Protagonisten machte, kaum bis in die heutige Zeit bekannt geblieben.

Doch Richard von Krafft-Ebing prägte in seiner  Psychopathia sexualis (1886) für diese Sexualpräferenzen den Begriff des Masochismus, gegen den sich der Schriftsteller ebenso heftig wie erfolglos zu wehren versuchte.

Nach seiner Schulbildung in Lemberg und Prag studierte er in Graz, wo er im Jahr 1871 Angelika Aurora Rümelin (1845–nach 1906) kennenlernte, zu der er 1872 – wie schon 1869 zu einer anderen Frau – ein auf einige Monate befristetes „Sklavenverhältnis“ einging. 1873 heiratete er sie; er lebte mit ihr, was er in „Venus im Pelz“ beschrieben hatte,9) die Ehe zerbrach jedoch letztlich. Wanda von Sacher-Masoch publizierte unter dem Pseudonym „Wanda von Dunajew“, der weiblichen Hauptfigur der Venus im Pelz.

Pfarre Graz – Hl.Blut – Trauungsbuch 24 – p.11

Leopold Franz Stephan Ritter von Sacher

Der Vater von Leopold, Johannes und Karl war k.&k. Beamter. Zum Zeitpunkt seiner Hochzeit mit Anna Carolina Masoch bekleidete er den Rang eines Kreiskommissars von Tarnopol. Drei Jahr später sollte er Polizeidirektor von Lemberg werden. Im Trauungsbuch sind noch die getrennten Nachnamen der Eheleute Sacher und Masoch zu erkennen. Angeblich auf Wunsch des Schwiegervaters wurde um eine Änderung des Familiennamens auf „von Sacher-Masoch“ angesucht, die schließlich 1838 mit kaiserlicher Genehmigung erteilt wurde.

Wir finden daher Leopold, den Schriftsteller, noch als Leopold Sacher, seine beiden Brüder Johann und Karl bereits als geborene Sacher-Masoch in den Lemberger Taufbüchern.

Pfarre Lemberg – St. Andreas – Trauungsbuch 1827 – p.62

  1. Urs Mursfeld, „Zeitlupe“ –Ballad of Lucy Jordan
  2. „Whodoyouthinkyouare“ Magazine
  3. Cyprian Jens-Peter, Alexander Sacher-Masoch, Leben und Werk, S. 39ff.
  4. Cyprian Jens-Peter, Alexander Sacher-Masoch, Leben und Werk, S. 19.
  5. Vgl. Marianne Faithfull: Memories. München: Blanvalet 2009, S. 74f.
    (zitiert nach Cyprian Jens-Peter, Alexander Sacher-Masoch, Leben und Werk, S. 56)
  6. Pfarre Vitkovice, Taufbuch 4, p. 139
  7. Filmportal.de: Zwischen Strom und Steppe
  8. Wikipedia: Galizien
  9. Österreichisches Biografisches Lexikon: Sacher-Masoch, Leopold von; Ps. Charlotte Arand, Zoë v. Rodenbach

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